Wer durch den Nationalpark Bayerischer Wald wandert, wird normalerweise unweigerlich auf Wald stoßen. Schließlich besteht der Nationalpark zu 98 % aus Wald. Dagegen läuft man auf dieser reizvollen, einsamen Tour über viele offene Flächen, über stimmungsvolle Schachten mit knorrigen, uralten Bäumen und Moore. Am Ende präsentieren sich noch ein riesiger Speichersee und ein Schloss in ihrer vollen Pracht.
Am Parkplatz in Buchenau lese ich auf der Wandertafel, dass es bis zum „Erlebnisweg Schachten und Filze“ drei Stunden Fußmarsch sind.
Da habe ich schon manche gehört, die deshalb darauf verzichtet haben. Das ist schade, denn es ist von anfang an eine rundum schöne Wanderung und nicht erst am „Erlebnisweg“.
Zunächst gehe ich bachaufwärts der Markierung „Pestwurz“ nach, verlasse aber schon bald bei der Brücke die empfohlene Markierung „Pestwurz“, folge der Markierung „Mittlerer Rundweg“. Es geht über die Brücke, zwischen zwei Häusern leicht bergauf und rechts rauscht der Pommerbach. Fichtenwälder wechseln sich mit Buchen- und Bergmischwäldern ab.
Bei Abzweigungen halte ich mich im Zweifelsfall rechts, bis ich wieder auf die Markierung „Pestwurz“ treffe. An dieser Kreuzung lädt eine Bank zum Verschnaufen ein, weil ich nun einen etwas steileren Anstieg (den einzigen dieser Art!) vor mir habe.
Nach einer guten Stunde treffe ich auf eine heidelbeerbewachsene Lichtung, den Lindberger Schachten.
Ab jetzt geht es stundenlang auf einer Höhe dahin. An der Wanderweg-Kreuzung auf dem Lindberger Schachten lohnt der Abstecher nach links Richtung „Rachelblick“.
Auf den verschiedenen Schachten gibt es seltene Blumen zu entdecken. Die Türkenbundlilie ist, wenn man sie denn sieht, so groß, dass man sie nicht übersehen kann.
Sie gefällt nicht nur mir, sondern angeblich auch Rehen so sehr, dass sie bei denen als Delikatesse gehandelt wird. (Aus den jungen Rehen, den Kitzen, wird übrigens nie und nimmer ein Hirsch! Das Hirschjunge heißt Hirschkalb.). Weiter geht es mit seltenen Blumen: Ungarischer Enzian und Arnika.
Was sind denn nun die vielgepriesenen Schachten? Schachten sind ein schützenswertes Kulturgut. Es sind waldfreie Flächen, die im 17. Jahrhundert in den Hochlagen des Bayerischen Waldes aus dem Wald herausgerodet worden sind, um Waldweide (aus dieser Zeit gibt es heute noch Rechte!) zu betreiben.
Bewirtschaftet wurden die Schachten noch bis in die 60-er Jahre des 20. Jahrhunderts. Ein Hirte trieb die Jungrinder tagsüber in die Wälder und nachts auf die Schachten. Auf diesen offenen Flächen stehen einzelne Unterstandbäume, die mittlerweile sehr bizarre Formen angenommen haben.
Die Hirten lebten durchgehend von Frühling bis Herbst in einfachsten Hütten ohne Strom und fließend Wasser. Romantisch war das sicher nicht.
Zu alledem gab es früher noch Luchse, Bären und Wölfe. Bedenkt man, dass Bären und Wölfe auch heute noch zu den Tieren gehören, die bei vielen Menschen Unbehagen auslösen, obwohl man schon viel mehr über diese menschenscheuen Tiere weiß, kann man sich vorstellen, dass das damals für die Hirten eine aufregende Sache war.
Denn obwohl Menschen nicht zum Beuteschema dieser Tiere gehören, geistert immer noch das Bild vom Großmütter-, Sieben-Geißlein- und Kinder-fressenden Wolf in den Köpfen herum.
Weil die Schachten die Landschaft so prägen werden sie innerhalb des Nationalparks als Kulturlandschaft gepflegt. Das bedeutet, dass einmal im Jahr ein Trupp Ehrenamtlicher vom Bayerischen-Wald-Verein ausrückt und das Zuwachsen mit Bäumen verhindert.
Der Wald würde sich nämlich die offene Fläche wieder zurückholen und dann wäre es vorbei mit der Schachten-Kultur. Anschließend sitzt man gemütlich bei einer „Halbe Bier“ beisammen. Irgendwelche Zungen behaupten, dass das sogar der eigentliche Zweck der Pflegemaßnahmen sei.
Ich folge dem Goldsteig Richtung Rachel. An der Höllbachschwelle gibt es wieder „ordentliche“ Sitzgelegenheiten in Form einer Bank (sollte jemand Wert auf dieses Detail legen). Dann tauche ich immer wieder mal in einen Fichtenwald mit viel stehendem und liegendem Totholz ein.
An manchen Stellen wachsen die Heidelbeersträucher so hoch, dass ich mich wie im Schlaraffenland für die Ernte nicht mal bücken muss. Auf dem Boden wächst ein besonderes Überbleibsel aus der letzten Eiszeit: der kleine, weiß-blühende Siebenstern.
Ich freue mich und sage es nicht weiter. Er ist sehr selten! Im Vinschgau bzw. Nationalpark Stilfser Joch in Südtirol habe ich ihn auch gesehen.
Auf Holzbohlen durchquere ich sumpfige Hochmoore
mit Mooraugen und typischer, an die nassen und sauren Böden angepasster Vegetation: Der fleisch-fressende Sonnentau, die Rausch-, Heidel- und Moosbeere. Bei der Moosbeeren muss man schon genau hinschauen, um die winzige Blüte zu sehen. Die Rauschbeere soll angeblich berauschend sein. Die Namen mancher Pflanzen bringen mich zum Phantasieren: Latschenkiefern kippen nicht aus den Latschen und aus Wollgras spinnt man keine Wolle.
Mooraugen sind keine weit aufgerissenen Augen, die einem von versunkenen Leichen aus dem Wasser heraus anstarren, sondern Wasseransammlungen in eingebrochenen Torfschichten.
Obwohl ich schon oft hier unterwegs war, sind mir noch keine Moorleichen aufgefallen. Hat sie vielleicht der Sonnentau gefressen oder kann ich die Moorleichen nur deshalb nicht sehen, weil sie versunken sind?
Wer nun meint, die Holzbohlen seien dazu da, dass man nicht versinkt, liegt falsch. Sie dienen dem Schutz der sehr empfindlichen Bodenvegetation.
Die Pflanzen mögen es gar nicht, wenn man auf ihnen herumtrampelt, außerdem wächst so ein Moor bloß einen einzigen Millimeter im Jahr. So ein Millimeter ist gleich zusammengetreten.
Irgendwo habe ich gelesen, dass man im Moor sowieso nicht versinkt, solange man immer in Bewegung ist. Moore sind übrigens riesige CO2-Speicher. Wenn ich Blumenerde kaufe, schaue ich deshalb, dass da kein Torf enthalten ist.
Eins der Moore wird Zwieselter Filz genannt. Jetzt könnte man fragen, ob hier früher die Kunst des Filzens ausgeübt wurde und warum genau an diesem abgelegenem Platz? Nein.
„Filz“ ist die regionale Bezeichnung für „Hochmoor“. So einfach ist das. Die Bezeichnung „Hochmoor“ hat auch nichts mit der Höhenlage zu tun. Hochmoore werden so genannt, weil sie keinen Kontakt mehr zum Grundwasser haben. Sie werden nur vom Niederschlagswasser wie Tau, Schnee oder Regen mit Wasser versorgt.
Viele Libellen, wie die Kleine Moosjungfer schwirren über den Moorseen und an sonnigen Tagen lungern auf den Holzbohlen Eidechsen rum. Manchmal ist es auch nur ein verzauberter Prinz.
Geschlossene Wälder wechseln sich mit offenen Schachten ab, von denen jeder seine eigene Stimmung hat, die ich genieße.
Ein alter, markanter Ahorn-Baum und halb zerfallende Buchen zeigen, dass an den Bäumen Blitze, Alter, Wind und Wetter zerren.
Da man so was im Wirtschaftswald nicht oder nur selten sieht, komme nicht nur ich beim Anblick dieser Bäume ins Staunen und Schwärmen. Und auch nach dem 50. Mal kann ich mich an den bizarren Formen nicht satt sehen.
Jede Jahreszeit hat ihren eigenen Reiz. Und je nach Jahreszeit geht es mal mehr, mal weniger üppig bunt zu: Es wachsen der Hasenlattich mit seinen filigranen, rosa Blüten, die kleine, weißblühende Schattenblume, der gelbe Wachtelweizen, der nichts mit der Wachtel zu tun hat.
Außerdem das gelbe Johanniskraut zur Beruhigung, falls einem doch eine Moorleiche begegnet, die Pestwurz, von der man früher annahm, dass die gegen die Pest hilft, die Blutwurz, die man bequemer als den Schnaps „Blutwurz“ kaufen kan.
Die violette Soldanella montana ist geschützt und habe ich bisher nur im Inneren Bayerischen Wald gesehen. Dann gibt es noch Enten am Latschensee, Gräser, Bärlapp, Fliegen und wie sie alle heißen.
Kleine Tiere krabbeln rum. Da ist ein Maiwurm, ein Verwandter der spanischen Fliege.
Und das sind Ameisen bei der Arbeit. Es geht doch nichts über Teamarbeit.
Dann heißt es irgendwann vom Goldsteig Abschied nehmen und abwärts Richtung Trinkwassertalsperre wandern. Da da doch ein recht langer Abschnitt Forststraße wartet, gehe ich auch schon mal auf dem Goldsteig weiter Richtung Rachel und dann an der nächsten markierten Abzweigung erst nach rechts Richtung Trinkwassertalsperre (ist weiter, aber landschaftlich schöner).
An der Trinkwassertalsperre stehe ich jedes Mal wieder vor der Entscheidung, ob ich rechts rum auf der Teerstraße (viele Bänke und schöner Ausblick) oder links rum auf einem Steine- und Wurzelpfad gehe. Beides ist reizvoll.
Die Trinkwassertalsperre hat, wie der Name schon sagt, etwas mit dem Trinkwasser zu tun. Von hier aus werden große Teile der Bevölkerung des Bayerischen Waldes mit gutem Trinkwasser versorgt.
Und im Herbst könnte man meinen, man sei in Kanada:
Zum Schluss laufe ich auf dem Europäischen Fernwanderweg durch Wirtschaftswald und an einer schönen Allee entlang zurück nach Buchenau.
In Buchenau wartet als „krönender“ Abschluss das „Schloss Buchenau“. Das gehört einem privaten Verein, dessen Mitglieder recht rührig sind. Sie organisieren viele kulturelle Veranstaltungen und wer einmal Schlossherr oder Schlossherrin spielen will, kann das Schloss für eigene Veranstaltungen mieten.
So hat mir die Schachten- und Filzetour im Nationalpark Bayerischer Wald gefallen
Eine meiner Lieblingstouren. Gehe ich immer wieder gerne und auch zu verschiedenen Jahreszeiten. Es gibt Pfade über Pfade, Aussichten, knorrige alte Bäume, Hochmoore mit entsprechendem Bewuchs, Mooraugen, Wässerchen, und, und, und…
Strecke: Anfahrt und Start: Der Ort Buchenau ist über eine Seitenstraße zwischen Frauenau und Zwiesel oder von der B11 kommend über die Abzweigung Richtung Spiegelhütte und Buchenau erreichbar.
Wanderwegbeschreibung: Parkplatz Buchenau. Man folgt den Pommberbach bachaufwärts, der Pestwurz folgend. Nach ca. 50 Metern verlässst man die Pestwurz, folgt dem Mittleren Rundweg geradeaus über die Brücke, zwischen den Häusern hindurch. Ab nun im Zweifelsfall rechts halten, bis man wieder auf die Pestwurz trifft. Dieser nun nach links aufwärts folgen. Am Hochschachten der Markierung Goldsteig Richtung Rachel bzw. Borstgras Richtung Trinkwassertalsperre bis zur Trinkwassertalsperre folgen. Am Speichersee entweder links- oder rechtsrum gehen. Vorne an der Trinkwassertalsperre am rechten Ende der Dammkrone (bei Blick auf den Arber) mit der Markierung „Europäischer Fernwanderweg“ Richtung Buchenau schlendern.
Länge: (ohne Umweg über Richtung Rachel) ca. 22 km
Tiefster Punkt: Buchenau ca. 750 m
Höchster Punkt: irgendwas um die 1180 m
wunderschöne Wanderbeschreibung. Werde ich dieses Jahr mal abgehen.
Vielen Dank !
Ich bin schon mehrmals oben auf den Lindbergschachten nach links auf den Lackaberg und über Zwieslerwaldhaus wieder ins Tal gegegangen, aber diese Variante ist sehr interessant.
Rudi Raum
Hallo Rudolf,
das ist eine meiner Lieblingswanderungen. Die Filze- und Schachten-Tour ist sehr abwechslungs- und aussichtsreich. Und überlaufen ist die Strecke auch nicht. Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Wanderung.
Sonja
Hallo Sonja,
gerade habe ich dich durch „Blogger schenken Lesefreude“ entdeckt. Was für schöne Themen und Touren. – Genau mein Geschmack. Wieso kenne ich nicht schon längst deinen Blog?! Ich bin sehr gerne im Bayerischen Wald; letzten Mai haben wir eine dreitägige Nationalparkdurchquerung gemacht, was definitiv eines meiner Jahres-Highlights war. Ich komme zukünftig sicher öfter mal bei dir hier vorbei! Viele Grüße aus München, Nadine
Liebe Nadine,
schön, dass dir der Bayerische Wald so gut gefällt wie mir.
Ja, der Nationalpark ist wirklich herrlich. Und auch abseits vom Nationalpark gibt es bei uns wunderschöne Wandermöglichkeiten.
Viele Grüße
Sonja